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Die Zukunft der Solarenergie hat zwei Seiten
Wissenschaftler erforschen Effizienz von Modulen, die auf der Vorder- und Rückseite aktiv sind

Es ist nicht das erste Mal, dass Weltraumtechnologie auf der Erde eingesetzt wird: Schon in den 1960er-Jahren wurden Solarzellen in der Raumfahrt eingesetzt. Der Satellit Vanguard I, der im März 1958 von den USA ins All geschickt wurde, war der erste mit Photovoltaik (PV) -Modulen. Sie luden seine Akkus auf, sodass er über sechs Jahre lang Signale zur Erde schicken konnte. Bis sich die Technik hier durchsetzte, vergingen Jahrzehnte. In der Zwischenzeit waren im All schon Solarzellen im Einsatz, die Sonnenstrahlen nicht nur auf der Vorder-, sondern auch auf der Rückseite einfangen konnten.  Diese sogenannten bifazialen, also zweiseitigen Module versprachen, mehr Strom zu produzieren.

Seit einigen Jahren haben Hersteller diese Technologie auch für Solaranlagen auf der Erde entdeckt. Einem Bericht der US-Forschungs- und Beratungsgruppe Wooden Mackenzie (WoodMac) zufolge waren Ende 2019 weltweit zweiseitige Anlagen mit einer Kapazität von 8,2 GW installiert, die meisten davon in China. Das macht einen Anteil von gerade einmal knapp 1,5 Prozent der globalen PV-Kapazität von 586 GW aus.

Zellen fangen beidseitig Sonnenstrahlen ein

Die Idee hinter dem Konzept ist einfach: Statt nur auf der Vorderseite, haben die Module auch auf der Rückseite eine Glasscheibe. Dazwischen befinden sich die Solarzellen. „Die Vorderseite sieht also genauso aus, wie die Rückseite“, erklärt Radovan Kopecek, Physiker am International Solar Research Center (ISC) in Konstanz, einem Zentrum für Solarentwicklung.

Dadurch können die Zellen auf beiden Seiten Licht aufnehmen. Sie fangen nicht nur direkte Sonneneinstrahlen ein, sondern auch indirekte, die vom Boden reflektiert werden und können so mehr Strom produzieren als die überwiegend eingesetzten monofazialen PV-Anlagen.

Bifaziale Anlagen sind platzsparend

Darüber hinaus bietet die Technologie neue Einsatzmöglichkeiten. So lassen sich die Anlagen horizontal, vertikal oder auch quer aufstellen. „Bifazialität ist vor allem in Wüstenregionen interessant, wo es durch den Sand viel Reflexion gibt“, erklärt Kopecek. „Vertikal installierte Systeme, mit denen man Flächen doppelt nutzen kann, sind aber auch für den europäischen Markt geeignet.“

Die Module werden dabei, beispielsweise auf Feldern, so installiert, dass diese weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden können. Ausgerichtet sind sie nach Osten und Westen. So fällt morgens und abends Licht auf die Zellen. Erste Pilotprojekte gibt es bereits, auch in Deutschland. Das Startup Next2Sun errichtete 2018 die größte bifaziale Solaranlage Europas in Eppelborn im Saarland. Auf zehn Hektar stehen 5700 Panels, die zusammen bis zu zwei MW Strom produzieren. Die Reihen haben so große Abstände, dass Traktoren dazwischen fahren und etwa Grünfutter ernten können. Aber auch für Flachdächer, Carports oder Haus- und Lärmschutzwände eignen sich zweiseitige Module.

Noch ist der Ertrag schwer zu messen

Wie viel mehr Strom die Anlagen produzieren können, wird noch erforscht. Ein Team des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE entwickelt gerade ein Verfahren, mit dem der Ertrag von beiden Seiten der Zelle gemessen werden kann. Erste Tests ergaben, dass zweiseitige Module in Deutschland zwischen fünf und 15 Prozent mehr Strom erzeugen könnten.

„Das Problem der Bifazialität ist, dass der Vorteil nicht so leicht erfasst werden kann wie für monofaziale Anwendungen. Statt einer Seite müssen plötzlich zwei analysiert werden“, erklärt Max Mittag, Leiter des Simulationsteams. Dabei müssen viele Faktoren berücksichtigt werden. „Stellen Sie sich eine gleichzeitige Optimierung eines Autos auf Vorwärts- und Rückwärtsfahrt vor. Es bleibt zwar immer noch ein Auto, aber sie müssen vieles von Grund auf neu bewerten.“

Der Ertrag der Module variiert nicht nur je nach Modell. Er hängt auch von vielen weiteren Faktoren ab. Entscheidend sind nicht nur der Aufstellwinkel, sondern auch die Umgebung. Damit möglichst viel Licht auf die Solarzellen fällt, sollte der sogenannte Albedo-Faktor so hoch wie möglich sein. Er gibt das Reflexionspotential des Bodens an. Trockener Asphalt erreicht zum Beispiel nur einen Wert von bis zu 0,15, wirft also 15 Prozent der Strahlung zurück. Bei roten Ziegeln sind es 30 Prozent. Weiße Flächen haben ein Reflexionspotential von über 80 Prozent. „Für ein helles Flachdach wird der Gewinn höher sein als bei schwarzer Dachpappe, im Kraftwerkspark ist helles Gras besser als dunkles“, sagt Max Mittag.

Hersteller nutzen moderne Technologien

Die meisten Hersteller setzen zusätzlich auf die PERC-Technologie. So können die Module selbst bei diffusen Lichtverhältnissen in den frühen Morgen- und späten Abendstunden Strom produzieren. Eine Spezialbeschichtung reflektiert dabei das schwächere, rötliche Licht, so dass es auf die Solarzellen fällt.

Der Solarmodulhersteller LONGi Solar hat in Zusammenarbeit mit dem US-Testzentrum für Erneuerbare Energien bifaziale PV-Anlagen mit PERC-Technologie getestet. Dabei zeigte sich, dass diese einen um bis zu 20 Prozent höheren Ertrag haben, generiert durch die Rückseite. Und auch die Vorderseitenleistung der Zellen wird weiter optimiert. Noch ist sie bei den meisten Modellen etwas geringer im Vergleich zu monofazialen. „Aber die bifazialen Gewinne, selbst im ungünstigsten Fall, sollten das mehr als kompensieren“, sagt Max Mittag.

Module werden immer günstiger

Zumal auch die Kosten für die Module inzwischen kaum höher sind als für einseitige. Bei Markteinführung mussten je nach Anlage und Hersteller noch zwischen zehn und 30 Prozent mehr investiert werden. Denn für die Produktion sind zusätzliche Schritte erforderlich. Die Zellen müssen zum Beispiel auch auf der Rückseite poliert werden. Außerdem waren die Produktionskapazitäten noch auf einseitige Module ausgelegt.

Seit 2016 ist der Preis aber kontinuierlich gesunken, sodass bifaziale Anlagen laut dem ISC-Physiker und Branchenkenner Radovan Kopecek inzwischen nur noch ein bis zwei Prozent teurer sind. Die Experten von WoodMac gehen davon aus, dass PV in den kommenden fünf Jahren um fast ein Viertel günstiger wird. Dadurch würden auch die Kosten, um Solarenergie in Strom umzuwandeln, weiter sinken: Seit 2010 sind sie von 25 US-Cent auf 3,5 gefallen. Mit bifazialen Anlagen könnten sie sich noch schneller reduzieren.

Fachleute des Branchennetzwerks International Technology Roadmap for Photovoltaic (ITRPV) sagen deshalb ein deutliches Wachstum der Sparte voraus: Die Kapazitäten der zweiseitigen Zellen werden laut ihrer Prognose in den nächsten Jahren weltweit deutlich ausgebaut werden. Bis zum Jahr 2027 werden sie mit einem weltweiten Marktanteil von rund 60 Prozent vor monofazialen liegen. Kopecek ist überzeugt: „Bifazialität ist die Zukunft.“

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