In einigen Ländern wird grüner Wasserstoff (H2) bereits ins Erdgasnetz eingespeist, um die Treibhausgasemissionen von Gasheizungen und -herden zu senken. Doch nirgendwo in Europa geht das so hochprozentig zu wie beim Pilotprojekt HyDeploy an der Universität Keele in Mittelengland.
Seit Januar 2020 werden die rund 100 Wohnungen und 30 Fakultätsgebäude, die an das Gasnetz der Hochschule angeschlossen sind, teilweise mit Wasserstoff. „Das Projekt verlief planmäßig: Wie waren bei 15 Prozent Beimischung angelangt und bereit, bis 20 Prozent zu gehen“, teilte Sara Wilcox, Sprecherin des Gasnetzbetreibers Cadent Gas, der das HyDeploy-Konsortium leitet, dem en:former mit. Derzeit allerdings ruhe der Versuch, weil die Ingenieure wegen des Covid-19-Lockdowns den Campus derzeit nicht betreten könnten, um die Beimischung zu überwachen und die Anlage zu warten. „Unser Ziel ist es, die Beimischung so bald als möglich wieder aufzunehmen.“
20 Prozent – das wäre die höchste Beimischung zum Beheizen von Gebäuden in Europa. Der Wasserstoff kommt aus einem hochmodernen Elektrolyseur der britischen Firma ITM Power, der Wasser in seine Bestandteile H2 und O2 aufspaltet.
Für das Pilotprojekt musste das Konsortium – angeführt vom Gasnetzbetreiber Cadent – eine Sondergenehmigung erwirken. Denn normalerweise darf dem Erdgas im Vereinigten Königreich lediglich 0,1 Prozent Wasserstoff beigemischt werden.
Das Regelwerk dient zum einen als Qualitätsstandard. Denn der Brennwert von Wasserstoff ist niedriger als der von Erdgas. Bei einem Druck von einem Bar und 25 Grad Celsius beträgt er beim Wasserstoff 12,7 Megajoule (MJ) pro Kubikmeter, britisches Erdgas kommt auf 40 MJ. Der Brennwert eines 20-Prozent-Mixes liegt also 13,7 Prozent niedriger als der von Erdgas.
Es geht bei den Regularien aber auch um Sicherheitsstandards. Ernsthafte Gefahren musste HyDeploy bereits im Genehmigungsverfahren ausschließen. Aber das Gemisch könnte sich auf vielerlei Weise von reinem Erdgas unterscheiden: Leitungen könnten schneller erodieren, vielleicht müssen Gasthermen und anderes Equipment anders eingestellt werden, um störungsfrei zu funktionieren. Das alles könnte die Kosten der Einspeisung von Wasserstoff ins Erdgasnetz beeinflussen. Und genau diese Dinge soll das HyDeploy-Projekt in Keele herausfinden.
Gelingt es zu zeigen, dass die negativen Effekte gering sind, könnte grüner Wasserstoff in größerem Maße ins britische Gasnetz eingespeist werden und so den CO2-Ausstoß des Wärmesektors relativ preiswert senken. Grund zur Hoffnung, dass das bisherige Limit eher eine bürokratische, denn eine technische Hürde ist, gibt es allemal: In den Niederlanden sind bereits zwölf Prozent H2-Einspeisung zugelassen, in Deutschland je nach Region fünf bis zehn Prozent und in Frankreich sieben Prozent.
Von der Verwendung von Wasserstoff im Erdgasnetz verspricht man sich eine ganze Reihe Vorteile. Zum einen ist H2 geeignet, die Emissionen des Wärmesektors zu senken, weil er als emissionsneutral gilt, wenn er mithilfe von grünem Strom per Elektrolyse hergestellt wird. Allerdings ist der Effekt geringer als auf den ersten Blick erkennbar: Wegen des niedrigeren Brennwerts werden die Verbraucher mehr von dem Gemisch benötigen. Bei einem 20-Prozent-Mix werden aber immerhin 7,4 Prozent Erdgas eingespart.
Zweitens ist die Wasserstofferzeugung ein Weg, Energie zu speichern. So könnte sie dazu beitragen die Stromversorgung effizienter zu machen, indem sie die Auslastung von Wind- und Solarparks erhöht, die andernfalls zu Zeiten gedrosselt werden müssen, in denen die Stromproduktion den Verbrauch übertrifft.
Drittens käme es der Infrastruktur zugute, denn Gasnetze blieben auch bei strengeren Emissionsauflagen für den Wärmesektor stärker ausgelastet. Dadurch ließen sich Aufwand und Kosten etwa beim Ausbau des Stromnetzes sparen.
Ginge es nach dem Bericht des nationalen Klimawandelkomitees vom Mai 2019, wird die Kapazität zur nachhaltigen Wasserstoffproduktion im Vereinigten Königreich im Jahr 2050 vergleichbar sein mit der aktuellen Flotte an Gaskraftwerken. Bei ITM Power sieht man das HyDeploy-Pilotprojekt als wichtigen Schritt auf dem Weg, die Forderungen des Klimakomitees nach bis zu 17 GW Elektrolyse-Kapazität umzusetzen.
Dieses Ziel liegt jedoch in weiter Ferne: Aktuell wird laut IEA der überwältigende Teil des Wasserstoffs, der vor allem für industrielle Prozesse verwendet wird, mittels Dampfreformierung aus Erdgas hergestellt. Um auch nur einen Teil des britischen Erdgaskonsums durch grünen Wasserstoff zu ersetzen, müsste aber nicht nur die Elektrolyse-Kapazität massiv aufgestockt werden, sondern auch die erneuerbaren Stromerzeugungskapazitäten.
Das Vereinigte Königreich hat bereits große Fortschritte dabei gemacht, die Treibhausgasemissionen der Stromerzeugung zu reduzieren. Doch eine landesweite Nutzung von Wasserstoff würde den Strombedarf noch einmal deutlich erhöhen. Das aktuelle Ziel der Regierung, die Offshore-Windstromkapazität bis 2030 auf 40 GW auszubauen, könnte dann knapp bemessen sein.
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