Wie selbstverständlich scheinen Erneuerbare Energien derzeit einen Rekord nach dem anderen zu brechen. Und da es sich um verhältnismäßig junge Technologien handelt, die zur Bewältigung des Klimawandels verstärkt Anwendung finden, ist davon auszugehen, dass diese Entwicklung in den kommenden Jahren zu immer neuen Bestmarken führen wird.
Tatsächlich ist das auch erforderlich, wenn die Menschheit den globalen Temperaturanstieg auf die im Pariser Klimaschutzabkommen festgelegten Zielwerte begrenzen will. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass dadurch automatisch auch die weltweiten CO2-Emissionen zurückgehen.
Im Jahr 2020, als die Erneuerbaren Energien ihren bisher größten Anteil am jährlichen Energiemix erreichten, gingen die weltweiten energiebedingten Emissionen um 5,8 Prozent zurück – der stärkste Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg.
Im Jahr 2021 erreichte die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien ein neues Rekordniveau. Gleichzeitig erreichten die energiebedingten CO2-Emissionen mit 40,8 Gigatonnen ihren bisher höchsten Wert (Link in Englisch).
Die Erklärung dafür: Den beiden Spitzenwerte für Erneuerbare lagen unterschiedliche Mess-Ansätze zugrunde. Der Rekord im Jahr 2020 wurde als Anteil am Energiemix ausgedrückt. Damals ging das Bruttoinlandsprodukt infolge der Covid-19-Pandemie weltweit um 3,3 Prozent zurück.
Die gesunkene Energienachfrage infolge dieses Wirtschaftsabschwungs hatte dazu geführt, dass der Verbrauch fossiler Brennstoffe gleich in zweierlei Hinsicht zurückging. Denn da Erneuerbare Energien die günstigste und nachhaltigste Option darstellten, stieg ihr Anteil am Energiemix in der Situation sogar noch.
Im Jahr 2021 legte das globale BIP hingegen wieder um 5,8 Prozent zu. Und der Rekord bei den Erneuerbaren war diesmal nicht auf den Anteil am Energiemix bezogen, sondern auf deren Gesamterzeugung. Die lag um 500 Terawattstunden (TWh) über dem Vorjahresniveau. Das war zwar ein großer Sprung, aber nicht ausreichend, um den Anstieg des globalen Energiebedarfs zu decken. Dementsprechend wurden mehr fossile Brennstoffe verbraucht und die energiebedingten Kohlenstoffemissionen stiegen.
Die Energienachfrage im Jahr 2022 wird durch den Krieg in der Ukraine stark beeinflusst und der Konflikt hat bereits heute Auswirkungen auf den Energiemix. Die Versorgungsunterbrechung bei Erdgaslieferungen hat zur Folge, dass nicht nur in Europa, sondern weltweit mehr Kohle zur Strom- und Wärmeerzeugung eingesetzt wird – auch, weil die Gaspreise praktisch überall auf dem Weltmarkt in die Höhe geschnellt sind.
Dieser Umstand wird die Emissionen ebenfalls in die Höhe treiben, da bei der Verbrennung von Kohle in der Regel doppelt so viel CO2 emittiert wird wie bei Gas.
Wegen des nach wie vor intensiven Ausbaus der Kapazitäten der Erneuerbaren, ist ein neuer Rekord bei deren Gesamtstromerzeugung trotzdem vorprogrammiert. Ob sich auch ihr Anteil am Strommix vergrößert, hängt neben der Ausbaugeschwindigkeit aber auch von der Höhe der Gesamtenergienachfrage ab. Diese ist wiederum eng mit dem Wirtschaftswachstum verknüpft.
Im Juli hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Schätzungen für das globale BIP nach unten korrigiert (Link in Englisch). Er rechnet nun mit einem Plus von 3,2 Prozent im Jahr 2022 und 2,9 Prozent im Jahr 2023. Für die Weltwirtschaft wäre das ein schwaches Wachstum.
Das würde bedeuten, dass der Zuwachs der Gesamtenergienachfrage in diesem und im kommenden Jahr ebenfalls schwach ausfallen wird. Somit stehen die Chancen gut, dass die Erneuerbaren im Jahr 2022 sowohl anteilig als auch bei der absoluten Erzeugungsmenge neue Spitzenwerte verzeichnen.
Die Korrelation zwischen Energienachfrage und wirtschaftlichem Wachstum ist keineswegs zwangsläufig. So können beispielsweise Effizienzgewinne zu Wirtschaftswachstum führen, ohne dass gleichzeitig die Energienachfrage steigt. Auch die Wechselwirkung zwischen Emissionswerten und Nachfrage nach Energie ist nicht unveränderlich. Ein umweltfreundlicheres Energieversorgungssystem mit einem höheren Anteil an Erneuerbaren kann ein Nachfrageplus abdecken, ohne zusätzliche Emissionen zu verursachen.
Gemäß des aktuellen Strommarktberichts der Internationalen Energieagentur (IEA) (Link in Englisch) wird die globale Stromnachfrage 2022 voraussichtlich um 2,4 Prozent zunehmen, verglichen mit sechs Prozent im Vorjahr. Zugleich wird erwartet, dass die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen um zehn Prozent steigen und die aus Kernenergie um drei Prozent zurückgehen wird. Die kohlenstoffarme Stromerzeugung würde somit insgesamt um sieben Prozent anwachsen.
Die IEA prognostiziert, dass aus fossilen Brennstoffen trotz des vermehrten Einsatzes von Kohle im Jahr 2022 ein Prozent weniger Strom gewonnen werden wird. Das hänge mit dem geringen Nachfragewachstum und dem zügigen Ausbau der Erneuerbaren zusammen und entspräche einen knapp einprozentigen Rückgang der Emissionen im Elektrizitätssektor.
Die Emissionen der Stromerzeugung sind jedoch nur ein Aspekt der umfassenden Gesamtstatistik. Zusätzlich umfassen die energiebedingten CO2-Emissionen die Sektoren Wärme, Industrie, Verkehr und Gebäude. In diesen Bereichen werden nachhaltige Energiequellen nicht so rapide ausgebaut wie im Stromsektor.
Geringeres Wirtschaftswachstum impliziert indes eine geringere Industrieaktivität und eine geringere Mobilitätsnachfrage, sodass die Emissionen trotzdem auch in diesen Bereichen zurückgehen könnten. Die dafür maßgebliche Variable ist, wie schnell – oder eher langsam – die Weltwirtschaft wächst.
Grundlage für den IEA-Bericht war die April-Prognose des IWF für das globale BIP im Jahr 2022, die bei 3,6 Prozent statt der heute erwarteten 3,2 Prozent liegt. Das spricht dafür, dass das Wachstum der Stromnachfrage möglicherweise unter den von der IEA prognostizierten 2,4 Prozent liegt.
Gegenwärtig sieht es für das Jahr 2022 also in jeder Hinsicht rosig aus für neue Rekorde aus dem Bereich der Erneuerbaren. Allerdings ist es noch zu früh für eine Beurteilung, ob die energiebedingten Kohlenstoffemissionen – die etwa 73 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen ausmachen – steigen oder sinken werden.