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Wie aus Erdgaspipelines ein Wasserstoffnetz werden kann
Vorhandene Infrastrukturen nutzen: Warum ein verzweigtes H2-Netz nicht erst komplett neu gebaut werden muss

Es ist das Jahr 1766. Der britische Naturwissenschaftler Henry Cavendish experimentiert in seinem Labor mit verschiedenen Metallen und Säuren. Fast beiläufig entdeckt er dabei etwas, das er „brennbare Luft“ nennt. Niemand ahnt damals, dass dieses Gas, einmal zu einem der größten Hoffnungsträger der Energieversorgung werden wird: Wasserstoff (H2). Auch wenn ihn Cavendish zufällig entdeckte, sind heute und in Zukunft hochkomplexe technische Systeme notwendig, um H2 zu gewinnen, transportieren und einzusetzen. In einer Miniserie präsentiert der en:former unterschiedliche Technologien für Erzeugung, Speicherung, Transport und Nutzung und beleuchtet auch, welche Rohstoffe für Elektrolyseure und Co. benötigt werden.

In der ersten Folge haben wir unterschiedliche Möglichkeiten der H2-Produktion vorgestellt und welche Komponenten für die Erzeugungsanlagen benötigt werden. Im zweiten Teil geht es um die Transportinfrastruktur für Wasserstoff.

Grundsätzlich lässt sich Wasserstoff auf unterschiedliche Weise transportieren: In flüssiger oder stark komprimierter Form in Tanks – zum Beispiel per LKW in der Kurzstrecke oder per Schiff, wenn der Wasserstoff z.B. aus Australien, Chile oder Namibia kommen soll – oder gasförmig über Pipelines. Für große Mengen und innerhalb Europas gilt letzteres als die wirtschaftlichste Lösung. Und im Gegensatz zu Elektrolyseuren, die neu gebaut werden müssen, ist die Infrastruktur dafür bereits vorhanden – zumindest in Grundzügen. Denn für den Transport von Wasserstoff über lange Strecken können grundsätzlich die gleichen Pipelines genutzt werden, durch die heute Erdgas strömt. Diese werden aber frei, wenn künftig aus Gründen des Klimaschutzes dessen Einsatz immer weiter zurückgeht.

In ersten Pilotprojekten untersuchen Experten, welche Anforderungen bei einer Umstellung vorhandener Pipelines vom Erdgas- auf Wasserstofftransport zu beachten sind. Denn beide Gase haben unterschiedliche Eigenschaften. So verhalten sich zum Beispiel metallische Werkstoffe anders, je nachdem, ob sie mit Wasserstoff oder Erdgas in Kontakt kommen.

Bestehende Leitungen und Armaturen können H2 transportieren

Die gute Nachricht lautet dennoch: H2 lässt sich im Prinzip in dieselben Stahlrohre einspeisen, durch die zurzeit Erdgas fließt. Die Pipelines müssen vorher nur genau überprüft werden, wie Dr. Daniel Bick, Referent für Wasserstofftechnologie bei Open Grid Europe (OGE), erklärt: „Aus technischer Sicht können bestehende Leitungen auch Wasserstoff transportieren. Aufgrund der anderen Beschaffenheit von H2 nimmt man vorher aber eine sogenannte bruchmechanische Betrachtung vor. Dabei wird unter anderem ermittelt, welche Folgen ein kleiner Riss in der Leitung hätte.“

Das ist mit Blick in die Zukunft von Bedeutung. Denn noch fließt Wasserstoff zwar vor allem durch wenige Kilometer lange Transportnetze. Experten beschäftigen sich aber bereits mit deutlich größeren Netzen: Elf europäische Gasnetzbetreiber haben in dem wegweisenden Positionspapier „European Hydrogen Backbone“ skizziert, wie ein Wasserstoffnetz durch zehn Länder aussehen könnte. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der voraussichtlich benötigten Leitungen schon vorhanden ist: Im Jahr 2040 könnten rund 75 Prozent des dann 23.000 Kilometer langen Wasserstoff-Leitungsnetzes aus alten Erdgaspipelines bestehen.

Wasserstoff wirkt anders auf Metalle als Erdgas

Ganz ohne neue Leitungen wird es aber nicht gehen. Deshalb stellt sich die Frage, welche technischen Anforderungen bei Neubauten zu beachten sind. Denn Wasserstoff kann Korrosion durch Risse beschleunigen. Das geschieht, wenn H2 in das Metallgitter eindringt und dieses sich verspannt. Diese Effekte müssen bei der Netzplanung berücksichtigt werden, denn daraus ergibt sich, wie lange eine Pipeline genutzt werden kann.

„Schon heute verwenden wir ausschließlich Materialien, die für Wasserstoff geeignet sind“, sagt Bick. Wenn Leitungen umgestellt werden sollen, muss also nur überprüft werden, wie sich ihre Lebensdauer dadurch verändert. Das lohnt sich auf jeden Fall: Bick schätzt, dass die Kosten der Umstellung nur 20 Prozent derer für Neubauten betragen. Übrigens: Wie die Rohre sind auch Ventile und Dichtungen von Erdgaspipelines grundsätzlich für den Transport von Wasserstoff geeignet.

Verdichter und Co. müssen auf H2-ready sein

Doch auch die Technik vor und hinter der Pipeline muss berücksichtigt werden. So muss der Brennstoff zum Beispiel vor dem Transport verdichtet werden: „Aktuell wird Wasserstoff in der Regel direkt dort verdichtet, wo er produziert, wird. Das wird mittel- und langfristig anders sein. Je größer das Netz wird, desto mehr Verdichterstationen werden benötigt“, sagt Bick.

Und in diesem Fall kann die bestehende Technik nicht genutzt werden: „Weil Wasserstoff eine geringere Dichte hat als Erdgas, werden stärkere Anlagen benötigt. Verdichter brauchen bis zu sieben- oder achtmal so viele Stufen wie im Erdgasnetz“, erklärt der OGE-Experte.

Die Autoren des European Hydrogen Backbones haben Kosten in Höhe von bis zu 64 Milliarden Euro für den Aufbau des Netzes kalkuliert. Rund 60 Prozent davon entfallen ihnen zufolge auf Neu- und Umbauten der Leitungen, die übrigen 40 Prozent werden für den Bau zusätzlicher Infrastrukturen benötigt.

Beim Betrieb der Pipeline kommen Fackeln zum Einsatz

Noch größere technische Unterschiede wird es beim Betrieb der Pipelines geben. „Eine wichtige Frage ist in diesem Zusammenhang, wie ein größerer Leitungsabschnitt zwischen zwei Armaturenstationen sicher gasfrei gemacht werden kann – zum Beispiel für betriebliche Maßnahmen, etwa wenn Arbeiten an der Leitung durchgeführt werden“, sagt Bick. Wasserstoff kann dann nicht wie Erdgas über sogenannte Ausbläser einfach freigesetzt werden. Stattdessen muss es über eine Fackelanlage mit hoher Kapazität verbrannt werden.

„Das Vorgehen ist erprobt und kommt etwa in der chemischen Industrie zum Einsatz. Aus technischer Sicht ist es also unkompliziert übertragbar“, so Bick weiter. Bei mobil eingesetzten Fackeln könnte auf die gleichen Flansche zugegriffen werden, die bisher für Ausbläser genutzt werden. Das Thema ist auch mit Blick auf den Explosionsschutz von Bedeutung. Denn wie Erdgas ist Wasserstoff brennbar. Pipelinebetreiber müssen deshalb nicht nur sicherstellen, dass die verwendeten Materialien dicht und druckbeständig sind, sondern auch, dass H2 im Notfall schnell abgelassen werden kann.

Beimischung von H2 lohnt sich laut Experten kaum

Gerade für die ersten Jahre des Markthochlaufs, in denen die H2-Mengen noch klein sind, wird außerdem die Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz diskutiert. Statt ganze Leitungssysteme komplett auf H2 umzustellen, würde der Brennstoff dann dem Erdgas zu kleinen Anteilen beigefügt.

Mit Blick auf die großen Transportnetze sieht der OGE-Experte jedoch entscheidende Nachteile: Auf der einen Seite seien die CO2-Einsparungen bei einem niedrigen Wasserstoffanteil sehr gering. Denen stünden auf der anderen Seite aber hohe Umrüstungskosten, zum Beispiel für Modifizierungen an Gasturbinen, gegenüber. Denn „ab einem Wasserstoffanteil von zwei Prozent sind Umrüstungen notwendig“. Zudem fragt gerade die Industrie als großer Kunde reinen Wasserstoff nach, kein Gemisch.

Anders als bei der Produktion spielen Rohstoffe bei der Transportinfrastruktur also keine entscheidende Rolle für den Markthochlauf von Wasserstoff. Für langlebige, robuste Leitungen und Verdichter werden allenfalls andere Stähle benötigt. Wie das bei der Speicherung von H2 aussieht, wird die dritte Folge der Serie beleuchten.

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