Solarpflicht für Neubauten und öffentliche Bestandsgebäude, vereinfachte Verfahren für den Bau von Solarparks in alpinen Gebieten und die Vereinheitlichung der Einspeisevergütung: Das sind die großen Eckpunkte einer Änderung des Schweizer Energiegesetzes, die seit Oktober 2022 gilt. Sie ist Teil der sogenannten „Solaroffensive“, mit der die Schweiz die Nutzung der Solarthermie und vor allem der Photovoltaik fördern will.
Dazu gehören auch neue Ausbauziele: Geht es nach dem Ständerat, also der Kantonsvertretung im Parlament, sollen ab 2050 mindestens 45 Terawattstunden aus Erneuerbaren Energien abseits der Wasserkraft kommen, die Zustimmung des Nationalrats, der anderen Parlamentskammer, steht noch aus. Die Wasserkraft ist aktuell mit Abstand der wichtigste Energieträger im Schweizer Strommix, Lauf- und Speicherkraftwerke produzieren rund 40 Terawattstunden Strom im Jahr und deckten 2021 68 Prozent des Strombedarfs. Die anderen Erneuerbaren Energieträger, die rund 10 Prozent des Verbrauchs ausmachen, sollen also aufholen – und dabei in allererster Linie die Solarenergie.
Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Schweiz als eine der Ersten weltweit die Pflicht eingeführt, Dächer oder Fassaden mit Photovoltaik- oder Solarthermieanlagen auszustatten. Bislang ist das nur in wenigen Bundesländer in Deutschland vorgeschrieben. In der EU und in Großbritannien wird diese Maßnahme aktuell diskutiert.
In der Schweiz gilt die Solarpflicht nun beim Bau neuer Gebäude ab 300 Quadratmetern anrechenbarer Gebäudefläche; das ist – vereinfacht gesagt – das Terrain, das ein Gebäude bedeckt. Kleinere oder bestehende Gebäude sind von dem Bundesgesetz nicht erfasst, es sei denn sie gehören zu den „geeigneten Infrastrukturoberflächen“ des Bundes. So sollen etwa Lärmschutzwände, Fassaden und Dächer in Bundesbesitz bis 2030 ebenfalls „solaraktiv“ ausgerüstet werden.
Ausnahmen von der Solarpflicht – etwa bei wirtschaftlicher Unverhältnismäßigkeit – können auf Kantonsebene reguliert werden. Ebenso können die Kantone strengere Regeln erlassen. So könnten im Kanton Zürich bald auch Eigentümer bestimmter Bestandsgebäude verpflichtet werden, Solaranlagen auf Dächern oder an Fassaden zu installieren. Im Kanton Bern unterstützt das Parlament den Vorstoß, die Überdachung großer Parkplätze mit Photovoltaikanlagen obligatorisch zu machen. Schätzungen zufolge läge das Erzeugungspotenzial allein dieser Maßnahme bei 0,5 Terawattstunden pro Jahr (TWh/a) – etwa 7,5 Prozent des kantonalen Strombedarfs.
Um es attraktiver zu machen, Gebäude freiwillig mit Photovoltaik auszustatten, soll die Einspeisevergütung landesweit einheitlicher werden. Kürzlich hatte der Versorger Central schweizerische Kraftwerke (CWK) den Solarstrommarkt aufgemischt, in dem er – statt den üblichen sieben Rappen (etwa sieben Cent) pro Kilowattstunde (kWh) 32 Rappen bot. Beim nationalen Branchenverband begrüßte man das Signal, mahnte jedoch auch eine planbarere Vergütung an: „Das Angebot der CKW ist gut, allerdings orientiert sich die Vergütung am Marktpreis und kann jederzeit wieder sinken“, sagte David Stickelberger, Geschäftsführer des schweizerischen Fachverbands für Sonnenenergie Swissolar.
Im Gespräch ist ein Preiskorridor mit einer Untergrenze, die an den durchschnittlichen Amortisationssatz einer Anlage angelehnt ist und einer doppelt so hohen Obergrenze. Swissolar fordert eine langfristige Vergütung zwischen zehn und 20 Rappen.
Die Idee, den Winter ausgerechnet mit Solarstrom zu überbrücken, mag überraschen. Denn auch in den Bergen ist die Sonneneinstrahlung winters schwächer als sommers. Doch in den höheren Alpen ab 1.500 Metern über Normalnull, kann man dieses Naturgesetz gewissermaßen austricksen, indem man Solarzellen extrem steil aufstellt. Dann nutzen sie nämlich auch die Sonnenstrahlen, die der Schnee reflektiert. „Das Maximum der Leistung erreicht man bei einer Aufstellung von 70 bis 90 Grad Richtung Süden“, sagt Jan Remund, der das in einer Studie im Auftrag von Swissolar untersucht hat, dem en:former. „Im Sommer ist dann der Einfallswinkel ungünstiger und im Herbst fehlt der Schnee.“
Der Jahresertrag könne dadurch zwar um rund 20 Prozent niedriger ausfallen als bei einer Neigung von 35 Grad. Allerdings sei in dieser Rechnung noch keine Ertragsminderung durch Schnee nicht berücksichtigt sind, der auf flachen Modulen liegen bleibt, von steil aufgestellten Modulen aber von alleine abrutscht, erklärt Remund. Wichtiger aber in diesem Zusammenhang: Die Einspeisung bleibt auf diese Weise über das Jahr deutlich konstanter und die Spitzenerträgen liegen zwischen Januar und Mai.
Stromerzeugern ist es das Wert. So hat die Axpo AG, der größte Erzeuger Erneuerbarer Energie in der Schweiz, an der Staumauer des Muttsees auf 2.500 Metern Photovoltaik-Anlagen mit einer Peak-Leistung von 2,2 Megawatt (MW) installiert (s. Artikelbild). Ähnliche Projekte sind nach Unternehmensangaben bereits identifiziert, darunter eine 10-MW-Freiflächenanlage auf 2.000 Metern am Nalps-Stausee.
Künftig sollen es Investoren bei solchen Projekten einfacher haben. Die jüngste Gesetzesänderung senkt die bürokratischen Hürden für den Bau photovoltaischer Großkraftwerke, die eine Jahreserzeugung von mindestens zehn Gigawattstunden (10 GWh/a) und einer Leistung im Winterhalbjahr von mindestens 0,5 KWh pro Kilowatt (KW) installierter Leistung haben. Letzteres dürfte nur mit alpinen Anlagen gelingen.
Die Anhebung der winterlichen Stromproduktion hat für die Schweiz Priorität. Der solare Winterstrom soll nicht nur ein Gegengewicht zu den Solaranlagen im Schweizer Mittelland sein, die ein deutliches Leistungsmaximum in den Sommermonaten haben. Sie ergänzt auch die Wasserkraft. Denn, so zuverlässig die Laufwasserkraftwerke arbeiten, ab Herbst sinkt ihre Leistung, weil die Flüsse weniger Wasser führen. In den ersten Monaten des Jahres gehen dann auch die Stausee-Reserven zur Neige. Erst mit der Schneeschmelze im Frühjahr regeneriert sich die Verfügbarkeit der Wasserkraft wieder.
Die Stromversorgung im Winter ist auch deshalb eine Achillesferse der Schweiz, weil sie dann schon heute den höchsten Bedarf hat. Dabei werden bisher nur etwa acht Prozent der Gebäude mit Strom beheizt. Dies soll künftig mehr werden. Lösen will man sich dagegen von der Kernkraft und von den Stromimporten, mit denen die Eidgenossen bisher ihren winterlichen Strombedarf decken.
Alpine Solaranlagen allein werden das allerdings nicht lösen, dazu sind die verfügbaren Flächen zu klein, zumal man in der Schweiz mittlerweile – nicht zuletzt des Tourismus wegen – sehr auf Naturschutz bedacht ist. Vogelreservate, Moorlandschaften und andere Biotope sind für PV-Großanlagen tabu. Aus denselben Gründen ist auch der Ausbau der Speicherwasserkraft geplant, aber nicht unumstritten. Vorzugsweise sollen existierender Staumauern erhöht werden. Auch hierbei soll das neue Gesetz helfen.