Wer über die Energiewende spricht, kommt an Wasserstoff nicht mehr vorbei. Doch zum Aufbau einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft ist eine länderübergreifende Infrastruktur unverzichtbar. Die Initiative „European Hydrogen Backbone” skizziert bereits, wie das in Europa aussehen könnte.
Vor kurzem hat ein Großprojekt der Initiative grünes Licht erhalten: Die Übertragungsnetzbetreiber GRTgaz, Teréga, Enagás und REN sowie die Staatsoberhäupter Frankreichs, Spaniens und Portugals haben sich im Dezember 2022 bei einem Treffen von acht EU-Mittelmeer-Anrainerstaaten und Portugal (MED9) in Alicante auf die Umsetzung eines gigantischen Vorhabens zur Unterstützung der Dekarbonisierung der europäischen Industrie geeinigt: Das Wasserstoff-Projekt „H2MED“, in das Ende Januar 2023 auch Deutschland eingestiegen ist.
„H2MED2“ soll als Korridor für grünen Wasserstoff von der iberischen Halbinsel in das europäische Versorgungsnetz dienen. Die neue Unterseepipeline von Katalonien nach Marseille tritt an die Stelle des Vorgänger-Projekts „MidCat“, das ursprünglich eine Pipelineverbindung von Spanien über die Pyrenäen nach Frankreich vorsah (der en:former berichtete).
Aufgrund fraglicher Wirtschaftlichkeit, französischer Ablehnung und nicht zuletzt umweltpolitischer Vorbehalte wurden die Planungen für den Bau der MidCat-Pipeline ad acta gelegt. Diese war zunächst für Erdgas-Transporte gedacht und sollte später komplex und kostenintensiv umgerüstet werden.
Dass es sich bei „H2MED“ um ein reines Wasserstoffprojekt handelt, hat auch finanzielle Vorteile: So kann die Finanzierung im Rahmen der „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ (Projects of Common Interest, IPCEI, Link in Englisch) der Europäischen Kommission bis zur Hälfte aus EU-Mitteln realisiert werden. Voraussetzung dafür ist, dass EU-Verordnungen zur Verbesserung der Energiespeicherung, zur Förderung der Integration von Erneuerbaren Energien und intelligenteren Energienetzen erfüllt werden.
Rund zwei Millionen Tonnen Wasserstoffs sollen jährlich durch die neue Leitung transportiert werden. Das entspricht circa zehn Prozent des für 2030 erwarteten Bedarfs der Europäischen Union: Bis 2030 will die EU zehn Millionen Tonnen H2 in Eigenregie produzieren sowie weitere zehn Millionen Tonnen aus Importen (Link in Englisch) insbesondere für die Industrie bereitstellen.
Der Baubeginn ist für Mitte 2025 geplant, die Fertigstellung soll 2030 erfolgen. Zwei Pipelines sollen im Rahmen des Projekts gebaut werden: Zum einen soll die gut 250 Kilometer lange Verbindung „CelZa“ vom portugiesischen Celorico ins spanische Zamora errichtet werden. Sie soll portugiesische Wasserstofferzeugung über die entstehenden spanischen Wasserstoff-Haupttransportachsen mit der Hafenstadt Barcelona verbinden. Dafür wird mit Kosten von 350 Millionen Euro gerechnet. Damit dies möglich ist, müssen außerdem Teile des bestehenden Erdgasnetzes der iberischen Halbinsel umgerüstet werden.
Von der katalonischen Küste aus wird dann die zweite, wesentlich komplexere und kostspieligere Pipeline „BarMar“ entstehen, die das Gas von der iberischen Halbinsel ins französische Marseille befördert. „BarMar“ wird mit rund 450 Kilometern fast doppelt so lang wie „CelZa“. Doch das ist nicht die einzige Herausforderung: Die Leitung soll unter dem Mittelmeer in einer Tiefe von bis zu 2.600 Metern verlaufen. Aus der südfranzösischen Hafenstadt soll der Wasserstoff dann weiter in bedeutende europäische Industrieregionen fließen. Für dieses Teilprojekt wird mit Kosten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro kalkuliert.
Im Januar 2023 ist auch Deutschland mit in das Projekt eingestiegen. Eine entsprechende Vereinbarung wurde im Rahmen der deutsch-französischen Erklärung zum 60. Jahrestag des Elysée-Vertrags zwischen dem französischen Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz getroffen. Die zusätzlichen Kosten, um die Versorgungsleitung von Marseille bis in die Bundesrepublik zu verlängern, sind noch nicht beziffert. Eine neue Arbeitsgruppe soll bis Ende April strategische Entscheidungen für die europäische Versorgung erarbeiten.
Für den Aufbau einer H2-Transportinfrastruktur innerhalb Europas ist das „H2MED“-Projekt ein wichtiger Schritt. Die Integration Deutschlands sowie die Bildung der Arbeitsgruppe, die auch Subventionen unter die Lupe nehmen wird, wirkt zudem Zweifeln an der Rentabilität des Projekts entgegen. Denn noch bereiten vor allem die unsichere Nachfrage und komplizierte rechtliche Rahmenbedingungen Industrie und Experten Sorgen.