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Produzieren, wenn Erneuerbare Strom liefern
Wie Industriebetriebe ihren Energieverbrauch flexibilisieren können und die Netze entlasten

Fast in jeder Produktionsstätte, die er betritt, sehe er ungenutzte Möglichkeiten, den Energieverbrauch zu flexibilisieren, sagt Thorsten Lenck. Der Verfahrensingenieur hat schon viele Industriebetriebe von innen gesehen. Jahrelang hat er Unternehmen energiepolitisch beraten. Heute analysiert er beim Berliner Think-Tank Agora Energiewende die Potenziale Erneuerbarer Energien und das Strommarktdesign. Sein Eindruck: „Die Flexibilisierung des Stromverbrauchs spielt in der Energiewende bisher eine viel zu kleine Rolle.“

Wird die Verbraucherseite vernachlässigt?

Die Debatte um die optimale Nutzung der volatilen Stromquellen Wind und Sonne, meint Lenck, konzentriere sich zu einseitig auf die Versorgungsseite: Abrufbare Leistung, zum Beispiel aus Kohle- und Gaskraftwerken, soll die Versorgungslücke schließen, wenn Wind und Sonne zu wenig Energie liefern. Mittelfristig soll der Strom dann aus Speichern kommen, die gefüllt werden, während Wind- und Sonnenstrom im Überfluss vorhanden ist. Um vollkommen unabhängig von fossiler Energie zu werden, müssten jedoch riesige Speicherkapazitäten aufgebaut werden. Und die sind aktuell gegebenenfalls noch kostenintensiv.

Billiger, meint Lenck, könnte die Energiewende werden, wenn auch die Verbraucherseite flexibler würde. „Die Industrie als Energiekonsument Nummer eins könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten“, ist er überzeugt. „In den meisten Betrieben gibt es Prozessschritte, bei denen es nicht darauf ankommt, ob sie einen Tag früher oder später erfolgen.“ Als Beispiel nennt er eine Brauerei, die das Brauwasser nach Möglichkeit dann aus der Quelle fördert, wenn viel erneuerbarer Strom verfügbar ist. In einem überirdischen Tank lagert es dann, bis es mit der Stammwürze zum fertigen Bier vereint wird.

Mithilfe von meteorologischen Prognosen könnten diese Schritte sehr zuverlässig geplant werden. Manche Betriebe, schätzt Lenck, könnten mit entsprechenden Investitionen bis zu 50 Prozent ihres Verbrauchs flexibilisieren, ohne die Kernprozesse der Produktion und damit die Auslastung der Maschinen zu beeinträchtigen.

Kühllogistiker machen es vor

Arne Grein, Head of Energy Markets beim Beratungsunternehmenen Ökotec Energiemanagement in Berlin, hält diese Schätzung für sehr optimistisch: „Das mag in Einzelfällen möglich sein. Aber derzeit sind die wenigsten Unternehmen willens, die Summen aufzuwenden, die dafür nötig wären.“ Nach Greins Einschätzung kommen bisher nur wenige Wirtschaftsbereiche für ein intensives Lastmanagement in Frage, das darauf abzielt, verstärkt erneuerbaren Strom zu nutzen. Einer davon aber sei die Kühllogistik.

„Es gibt Kühl- und Tiefkühlhäuser, die an manchen Tagen vier bis fünf Stunden lang fast ganz ohne Strom auskommen“, sagt Holm Riedel, Vorstand der Energeering AG. Das Unternehmen in Mülheim an der Ruhr ist darauf spezialisiert, energieintensiven Strom- und Gaskunden zu helfen, ihre Verbräuche zu optimieren.

Wärmespeicher sind billiger als Stromspeicher

Das Lastmanagement, erklärt Riedel, sei gerade in der Kühllogistik deshalb interessant, weil Wärme und Kälte vergleichsweise einfach und preiswert zu speichern sind. Man kennt das von zu Hause: Heiße Getränke behalten in einer Isolierkanne ihre Temperatur gut und gerne einen halben Tag lang – ohne weitere Energiezufuhr. Ein elektrisches Gerät bleibt aber stehen, sobald man den Stecker zieht.

Das Prinzip Isolierkanne würde nicht nur in der Kühllogistik funktionieren, meint Riedel: „Überall da, wo Prozesswärme im Niedrigtemperaturbereich, also bis etwa 130 Grad, benötigt wird, könnten solche einfachen Wasserspeicher den Energieverbrauch flexibilisieren und auch effizienter machen.“ Bisher erzeugen die meisten Betriebe ihre Prozesswärme mit Heizkesseln oder Blockheizkraftwerken (BHKW) – meist mit Erdgas als Brennstoff. Überschüssige Wärme am Ende eines Prozesses wird oft an die Umgebung abgegeben. Schon ein einfacher Wärmespeicher würde den Energieverbrauch signifikant senken, so Riedel. Mit elektrischen Wärmepumpen anstelle der BHKW könnte man dann recht flexibel erneuerbaren Strom zur Wärmeerzeugung nutzen.

Lukrativ ist eher die Netzentlastung

Auch wenn im Einzelnen aktuell schon attraktive Möglichkeiten für Betriebe bestehen, sind sich die drei Experten einig, dass den Unternehmen die Anreize für derartige Investitionen fehlen: Die Spreads an der Strombörse, also die Unterschiede zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Strompreis in einem relevanten Zeitraum, sind dafür im Mittel zu gering. Die wenigen attraktiven Zeitfenster im Jahr, in denen die Strompreise – wie im Dezember 2020 – durch die Decke gehen, böten bisher keine Basis für langfristige Investments, die es ermöglichen würden, in diesen Situationen auf Strom zu verzichten.

Zwar wächst die Frequenz solcher Konstellationen. Doch bisher ergibt das für die wenigsten Unternehmen einen Investment-Case – auch deshalb, weil der Großhandelspreis einen relativ kleinen Teil des Gesamtstrompreises ausmacht. Hinzu kommen Netzentgelte, EEG-Umlage, Stromsteuer und weitere Abgaben. Tatsächlich, sagt Holm Riedel, könnten Unternehmen bei den Netzentgelten derzeit mehr Geld sparen als bei den Strompreisen – zum Beispiel, indem sie es sich vergüten lassen, wenn sie ihren Verbrauch in Zeiten von Spitzenlasten absenken.

Flexibilisierung im großen Stil möglich

Genau dies tut der Aluminiumhersteller Trimet. Ein neues Verfahren erlaubt es dem Essener Familienunternehmen, den Stromverbrauch der Aluminiumgewinnung für bis zu 24 Stunden um 25 Prozent zu erhöhen oder zu drosseln. Auch hier ist es die Trägheit der Wärmeenergie, die das ermöglicht.

Auch wenn es hierbei in erster Linie darum geht, Spitzenlasten abzufedern, um das Stromnetz zu stabilisieren und nur indirekt um die Nutzung erneuerbarer Energien, meint Thorsten Lenck von der Agora Energiewende, „Das Beispiel zeigt, dass eine Flexibilisierung des Stromverbrauchs auch in großem Maßstab machbar ist.“ Und der Trimet-Maßstab ist beträchtlich: Nach Recherchen der Deutschen Welle verbraucht die Aluminiumhütte am Stammsitz Essen so viel Strom wie der gesamte Rest der 600.000-Einwohnerstadt – einschließlich der anderen Industriebetriebe.

Die Anreize könnten wachsen

Bevor sich mehr Unternehmen für das Thema interessieren, meint Holm Riedel, müssten sich jedoch die Rahmenbedingungen ändern: „Würden neben den Netzentgelten auch die anderen Strompreiskomponenten der Verfügbarkeit erneuerbaren Stroms angepasst, wäre eine Flexibilisierung des Stromverbrauchs sicher für mehr Unternehmen ein Business Case.“

Dafür spricht, dass der Anteil der erneuerbaren Energie weiter steigt und der Netzausbau voranschreitet. Bei günstigen Wetterbedingungen wird also noch mehr Strom verfügbar sein als heute. Bei ungünstigen Wetterverhältnissen wird es eher weniger sein als heute, weil es dann weniger grundlastfähige Kraftwerke geben wird. Dadurch dürften auch die Spreads wachsen und einen entsprechenden Anreiz geben, in die verstärkte Nutzung billigen Stroms zu investieren. Der steigende CO2-Preis dürfte den Effekt verstärken.

Dagegen spricht laut Arne Grein von Ökotec die Verbreitung von sogenannten grünen PPAs. Mit solchen langfristigen Lieferverträgen sichern sich Großverbraucher konstante Strompreise aus erneuerbaren Anlagen über mehrere Jahre. „Der Anreiz für ein ausgeprägtes Lastmanagement entfällt damit“, sagt Grein. Letztlich werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen eine erhebliche Rolle dabei spielen, wie viel Interesse die Industrie zeigen wird, das Potenzial zu heben, dass die Flexibilisierung ihres Energieverbrauchs birgt.

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